Demenzdiagnostik in der Neuropsychologie

verfasst von Mag. Dr. Thomas Bodner, MSc.

Demenzerkrankungen werden im ICD-11 wie folgt beschrieben: Demenz ist durch das Vorhandensein einer ausgeprägten Beeinträchtigung in zwei oder mehr kognitiven Bereichen im Vergleich zu dem, was angesichts des Alters der Person und des allgemeinen prämorbiden Niveaus der kognitiven Funktionen zu erwarten ist, gekennzeichnet, was einen Rückgang gegenüber dem früheren Funktionsniveau der Person darstellt. Gedächtnisstörungen treten bei den meisten Demenzformen auf, aber die kognitiven Beeinträchtigungen beschränken sich nicht auf das Gedächtnis (d.h., es gibt auch Beeinträchtigungen in anderen Bereichen wie Exekutivfunktionen, Aufmerksamkeit, Sprache, soziale Wahrnehmung und Urteilsvermögen, psychomotorische Geschwindigkeit, visuell-perzeptive oder visuell-räumliche Fähigkeiten). In weiter Folge werden auch Verhaltensänderungen und eine Beeinträchtigung in Aktivitäten des täglichen Lebens beschrieben. 
Die Erfassung kognitiver Leistungen sowie das Beschreiben von Verhaltensänderungen und deren Einflüsse auf unterschiedliche Fähigkeiten des täglichen Lebens gehören seit jeher zu den Aufgaben der klinischen Psychologie. Speziell die Klinische Neuropsychologie beschäftigt sich nicht nur mit den einzelnen Störungsbildern einer Demenzerkrankung (Gedächtnisstörung, Störung exekutiver Funktionen, Sprachstörungen, visuell-räumliche Störungen), sondern sie versucht auch im Rahmen von differentialdiagnostischen Fragestellungen ihren Beitrag zu leisten. Solche Fragestellungen betreffen beispielsweise die Diagnostik von Fronto-temporalen Demenzen (inkl. der progressiven Aphasien), die Diagnostik bei Demenzen mit Lewy-Körperchen oder auch seltene Erkrankungen wie die Posteriore Kortikale Atrophie. Die klinisch-neuropsychologische Untersuchung liefert dabei wesentliche diagnostische Informationen, die durch andere Untersuchungen (z.B. klinisch-neurologische Untersuchung, Liquordiagnostik, bildgebende Verfahren) nicht in der Form gewonnen werden können. So ist beispielsweise eine ausführliche Sprachuntersuchung für die Diagnostik einer Primär Progressiven Aphasie unerlässlich. Eine Stärke der klinischen (Neuro)Psychologie ist seit jeher der Rückgriff auf eine große Anzahl spezieller (standardisierte) Testverfahren. Mittlerweile gibt es eine sehr große Anzahl unterschiedlicher und qualitativ hochwertiger Testverfahren, die untersucherunabhängig (solche mit viel und solche mit wenig Erfahrung) eine sehr genaue Diagnostik erlauben.
Für die Gedächtnisdiagnostik stehen beispielsweise die CERAD Testbatterie, der Verbale Lern- und Merkfähigkeitstest, für die Prüfung exekutiver Funktionen eine sehr große Anzahl unterschiedlichster Verfahren (WCST, TOL, Planungstest, RWT, ...) sowie spezielle Verfahren für visuell-räumliche und visuoperzeptive Leistungen (VOSP), Testverfahren für die Sprachdiagnostik (z.B. der bekannte und schon etwas in die Jahre gekommene AAT) oder Testbatterien (z.B. NAB, TAP, WTS) zur Verfügung. Weitere wichtige Einsatzbereiche der klinisch-neuropsychologischen Diagnostik stellen dann nicht nur die Erstdiagnostik und die Differentialdiagnostik von Demenzerkrankung dar, sondern auch die Verlaufsbeurteilung (z.B. im Rahmen der Feststellung der Verlaufsgeschwindigkeit einer Demenzerkrankung, im Rahmen der Verlaufsuntersuchung vor und nach einer Punktion bei einem Normaldruckhydrozephalus). Ein weiterer Bereich ist die gutachterliche Beurteilung von kognitiven Leistungen im Rahmen der gerichtlichen Erwachsenenvertretung (= Betreuungsrecht in Deutschland). In diesen Rechtsbereichen kommt es speziell darauf an, dass mögliche kognitive Defizite und Verhaltensauffälligkeiten bei Demenerkrankungen diagnostiziert und deren Einfluss auf unterschiedliche Fähigkeiten des täglichen Lebens (z.B. Regelung von Finanzen, Verstehen von Verträgen, Entscheidungsfähigkeit, Wohnortbestimmung) beschrieben werden. Dies dient dann als Fachgutachten dem Gericht als Beweismittel und Entscheidungshilfe, ob und in welchem Ausmaß eine Erwachsenenvertretung (Betreuung) errichtet wird.
Nichts desto trotz ist es gerade in der Neuropsychologie wichtig, dass die Zusammenhänge zwischen Gehirn, neuropathologischen Veränderungen und kognitiven- und Verhaltensänderungen verstanden werden. Eine fachliche Zusammenarbeit von Neurolog:innen, Neuropsycholog:innen und anderen Disziplinen der Neurowissenschaften stellt deshalb eine besondere Bereicherung für alle an der Demenzdiagnostik beteiligten Disziplinen dar. 


In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, auf das Demenzseminar von Herrn Dr. Paulig zu verweisen. Herr Dr. Paulig ist ein sehr erfahrener Neurologe mit einer besonderen Affinität zur Neuropsychologie. Seminare von ihm sind anschaulich, auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand und insgesamt einfach brillant. NEUROPSY bietet darüber hinaus eine Vielzahl an speziellen Webinaren zu allen oben angeführten Bereichen. Nutzen Sie diese Gelegenheit!